Justifiers - dumm und blutrünstig

"Justifiers" heißt die Buchreihe, die von Markus Heintz initiiert und von diversen Autoren geschrieben wird, die ich gerade lese. Ich bin jetzt bei "Sabotage" von Markus Heitz angekommen und meine anfängliche Begeisterung wandelt sich zusehends in Verärgerung.

Was ist "Science Fiction"? Meiner Meinung ist es ein Genre, in dem entweder der jetzige Zustand der Welt und der Gesellschaft weitergedacht wird, um zu zeigen, wie es vielleicht einmal sein könnte. Oder man entwirft komplette Kunstuniversen, die mit unserem nichts zu tun haben. Ein gelungenes Beispiel solcher vollständig künstlichen Universen ist die "Kultur" Reihe von Ian Banks. Alles ist dort erdacht und es von daher ist es völlig in Ordnung, wie die Welt dort ist.

Wenn man aber einen Science Fiction schreibt, der in der Zukunft der Menschheit angesiedelt ist, mit deutlichem Bezug zur heutigen Wirklichkeit, dann sollte er - und sei die Vision noch so extrem - schon stimmig sein. Bereits Existierendes sollte entweder weiterentwickelt oder nachvollziehbar rückgängig gemacht werden.

Was mich zu "Justifiers" bringt. Die Bücher handeln um das Jahr 3040 herum, über 1000 Jahre in der Zukunft also. 1000 Jahre sind eine nahezu unermeßliche Zeitspanne angesichts des rasanten Tempos, mit dem sich die Menschheit in den letzten 100-200 Jahren entwickelt hat. Das Problem bei "Justifiers" ist, daß es dort bestimmte Dinge schlicht nicht gibt, die für uns heute längst Standard sind. Es gibt mehrere solcher rätselhafter Ungereimtheiten, auf einige möchte ich hier eingehen.

Das auffälligste ist die Gesellschaftsordnung, die im "Justifiers Universum" herrscht: anscheinend keine, wie es aussieht. Man erfährt es überhaupt nur indirekt nebenher. Soweit ich das bis jetzt überblicke, herrscht laut Heitz im Jahre 3040 eine Mischung aus Mittelalter, Anarchie und Prä-Steinzeit. Hier und da tauchen mal Gerichte auf oder so etwas wie eine Polizei. Aber unterm Strich sind das alles Institutionen, die tun, was gewalttätige Konzerne wollen. Menschen werden unterdrückt, ausgebeutet und abgeschlachtet und es ist nicht zu erkennen, ob das für irgendwen erwähnenswerte Konsequenzen hat.

Nun könnte man einwenden, daß das "Justifiers Universum" eine Dystopie sei. Ich finde aber nicht, daß dem so ist. Wäre es so, würde die Handlung, Hintergründe, Dialoge et cetera eine wesentlich deutlichere Sprache sprechen. Wie eine Dystopie auszusehen hat, kann man sich zum Beispiel bei "Fahrenheit 451" anschauen. "Justifiers" jedenfalls ist keine. Im Gegenteil kommt es mir sogar vor, als würden die Zustände dort sogar verherrlicht.

Hier haben wir eine Entwicklung, die wir in unserer real existierenden Welt längst beobachten können, von der die Autoren offensichtlich keine Notiz genommen haben: unsere Moralvorstellungen verändern sich. Gewalt wird immer weniger toleriert. Immer mehr Menschen regen sich immer länger über immer weniger Gewaltverbrechen auf. Und selbst die Militärs passen sich diesen ändernden Moralvorstellungen an (auf kritikwürdige Weise!), indem Kriege zunehmend mit Maschinen durchgeführt werden. Noch immer werden Menschen getötet, aber das geschieht aus der Distanz und diese Distanz wächst und wächst. Inzwischen führen die USA einen Großteil ihrer Aktionen mit Drohnen durch. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen, weil die Menschen mehr und mehr ein Problem damit haben, andere Menschen zu töten, aus welchen Gründen auch immer. Das gilt auch für Soldaten - daher die Drohnen.

Und diese Entwicklung verläuft recht schnell. Ich kann sie persönlich zu Lebzeiten beobachten. Gar nicht auszudenken, was in 1000 Jahren daraus geworden sein könnte. Aber was finden wir im "Justifiers Universum" statt dessen? Blutorgien, durch die Gegend fliegende Eingeweide, sich gegenseitig abschlachtende Menschen. Und es ist völlig normal. Ja nee is klaaar! Dieses "Universum" kollidiert schon mit meinen eigenen Moralvorstellugen. Und ich lebe 1000 Jahre in der Vergangenheit der Welt, die dort gezeichnet wird. Das ist weder nachvollziehbar, noch logisch oder konsequent zu Ende gedacht. Es ist schlicht und ergreifend unwahrscheinlich oder - Schwachsinn.

Ein anderer Bereich - und das bringt mich noch wesentlich mehr auf die Palme - ist das Thema Kommunikation und Medien. Genau wie im deutschen Fernsehen (zum Beispiel im Tatort) gibt es kein Internet. Es wird zwar hier und da mal ein "StellarWeb" erwähnt, irgend eine Rolle für irgend einen der Beteiligten spielt es aber nicht. Niemand nimmt an sozialen Netzwerken teil, niemand postet irgendwo irgendwas, niemand kommentiert etwas. Nachrichten werden in "Justifiers" praktisch ausschliesslich vom Fernsehen und der Presse verbreitet.

Ja richtig gelesen: vom Fernsehen und der Presse. Ausgerechnet! Als ob wir nicht heute schon klar und deutlich sehen könnten wohin die Reise gehen wird: in spätestens 10, höchstens 20 Jahren wird es keine Presse mehr geben. Jedenfalls nicht so wie sie heute aufgestellt ist. Entweder die Presse ändert sich oder sie wird gnadenlos wegen Bedeutungslosigkeit untergehen. Und das ist der Stand der Dinge im Jahre 2012. Bei Heitz jedoch - 1000 Jahre später! - ist alles so wie vor 10-15 Jahren. Die Leute sitzen vor der Glotze und werden mit "Nachrichten" berieselt. Und das ist gaaaanz normal so.

Da muss man sich doch an den Kopf fassen. Es ist schlimm genug, daß Tatortautoren das Internet verpasst haben. Als Science Fiction Autor den gleichen Fehler zu machen, ist einfach nur noch peinlich. Ich meine, woher beziehe ich denn heute den Großteil der Informationen? Von der Tageschau oder "Vox News" etwa? Nein - aus dem Netz. Und zwar bestimmt zu 70-80%. Schon in spätestens 10 Jahren wird der Anteil 100% betragen, und zwar bei Allen!

Wie dämlich kann man sein, so eine Entwicklung komplett zu verpennen und nicht nur so zu tun, als hätte sie nie stattgefunden, sondern noch einen drauf setzen und eine Welt zu entwerfen, in der alles so geblieben ist, wie es in den 70er Jahren war?

Richtig lachen musste ich ja, als in einem der Bücher jemand Emails verschickt hat. Emails. What the F*ck! Will mir Heitz wirklich einreden, daß man sich auch in 1000 Jahren noch einer Technologie bedient, die heute schon seit 20 Jahren veraltet ist?! Ja haben denn die Autoren des "Justifier Universums" noch alle Tassen im Schrank?

Insgesamt ergibt sich aber ein roter Faden, wenn man darüber nachdenkt. Die Welt in diesem "Universum" in 1000 Jahren ist genau so, wie sie die Mächtigen von heute gerne hätten. Noch eine Parallele zum Tatort. Denn auch die Welt, die dort beschrieben wird, hat mit der Realität nichts zu tun, es ist eine Welt, die so ist, wie sie sie manche Leute (Innenminister zum Beispiel) eben gerne hätten. Die Menschen sollen keine Rechte haben, der Staat und Unternehmen können ungestraft tun und lassen was sie wollen. Und Rechenschaft muß auch keiner ablegen.

So hätten die das vielleicht gerne, die Bürger aber nicht. Über kurz oder lang werden sich die Menschen die schleichende Entrechtung nicht mehr gefallen lassen. Und wenn ich es mir genau überlege, so wie der Tatort ein Propagandawerkzeug ist, um den Menschen einzutrichtern, daß sie angeblich keine Rechte hätten (dort gegenüber der Polizei), so ist auch die "Justifiers" Reihe nichts weiter als das: ein Propagandawerkzeug, ein Machwerk, eine Lüge.

Am Anfang fand ich es gut. Ich wurde gut unterhalten, es gab Action und Spannung. Und wäre nicht das aktuelle Buch ("Sabotage") so langweilig und unspannend - womöglich wäre mir all das gar nicht aufgefallen oder ich hätte es ignorieren können.

Tja. Nun wird "Sabotage" unvollendet in der Ecke landen, zusammen mit den 2 "Justifiers" Romanen, die ich eigentlich noch vor mir hätte. Ich will sowas nicht mehr lesen. Das ist keine Science Fiction, sondern Bullshit. Für wie blöd halten diese Leute uns Leser eigentlich?

Apropos blöd. Da wäre ja noch das Thema Technologie, bei Science Fiction ja nicht ganz unwichtig. Hier kann ich eigentlich nur eins sagen: schämen Sie sich, Herr Heitz. Was für ein Unfug, Raumschiffe mit einem "Sprungantrieb" auf die Reise zu schicken, die dann eine Woche im "Interim", einem "Raum zwischen dem Raum" oder so, verbringen müssen und die nach dem Wiederintritt in den Normalraum, mit einem ominösen "Interimschleim" bedeckt sind. Grundgütiger, einen solchen Mist habe ich ja noch nicht gelesen. Dagegen war ja sogar Startrek näher an der Wissenschaft.

Und dann die Herkunft dieser Technologie: da werden die Triebwerke von außerirdischen Raumschiffen verbaut, die man bei archäologischen Ausgrabungen gefunden hat. Auf der Erde! Da hat wohl jemand zu viel Schund von Däniken gelesen. Aber kommt noch besser: die verbauen da also diese Triebwerke und die funktionieren selbstverständlich. Aber man weiss nicht, wie sie funktionieren. Muß man ja auch nicht. Ist ja immer eine Bedienungsanleitung dabei,  in der steht, wie man die Teile mit Energie versorgt und sie steuert. Meine Fresse - so ein Quark.

Abgesehen davon ist das Thema Technologie in der kompletten Reihe nur schlecht. Was es da nicht alles für Klasse Ideen gab im Science Fiction Genre in den letzten Jahren. Um wieviel weiter ist da Ian Banks Ende der 80er mit der "Kultur" gewesen, was für eine unüberschaubare Fülle an Ideen und Brillianz! In Heitz' "Justifiers" finden wir aber nur Technologie Karritaturen wie man sie aus SciFi-Serien aus den 70ern kennt. Einfach nur schlecht.

Und viele Dinge sind auch widersprüchlich. Einerseits muß man sich eine Woche in diesem "Interim" aufhalten, um irgendwohin zu "springen" (schon die Bezeichnung "springen" ist ein Witz für sich angesichts dessen), aber andererseits gibt es das "StellarWeb" (ein WWW auf AOL Niveau), welches offenbar ganz entspannt galaxie-übergreifend zu funktionieren scheint. Wie? Man weiß es nicht. Erklärt wird das jedenfalls nicht. Gleichzeitig wird zur Kommunikation überwiegend Funk verwendet. Ich habe gegen Funk nichts einzuwenden. Aber warum sollte man funken, wenn man anscheinend eine Technik hat, mit der man in null-komma-nichts Lichtjahre überwinden kann? Logik? Ach, wer braucht sowas schon...

Und dann wären da noch die "Betas", die in allen Büchern eine wichtige Rolle spielen. Chimären aus Mensch und Tier sollen das sein. Da laufen Gestalten mit Stierköpfen durch die Gegend. Oder Katzenmenschen mit Schwanz. Und für all die skurrilen Kreaturen gibt es passende Raumanzüge und Kleidung. Da gibt es eine Katzenmenschfrau, die mit Handfeuerwaffen hantiert wie ein Mensch. Aber sie juckt sich am Kopf mit ihrer PFOTE. Also keine Finger. Handfeuerwaffen kann sie aber benutzen. Macht ja auch Sinn. Wer braucht schon Finger!

Und die Handlungen der Bücher selber? Wären die erwähnenswert, könnte man über all das vielleicht hinwegsehen. Sind sie aber nicht. Konzern bekriegt Konzern. Mörder werden ermordet. In jedem Buch.

Zum Kotzen.

Man könnte nun entschuldigend einwenden, daß diese ganzen "Ideen" tatsächlich aus den 80ern stammen, denn Heitz' Ideen waren es nicht, er hat nur die Rechte daran erworben. Die "Justifiers" Romane sollen eine "modernisierte" Version des 80er Justifiers Rollenspiels sein. Es ist fast beleidigend, das als "modernisiert" zu bezeichnen. Unglaublich.

Update 2012-06-23:

L

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↷ 23.06.2012