Der Nektar der Götter
Über Arts and Letters Daily habe ich heute folgenden Artikel gefunden: The art of coffee. Man muss es selber lesen. Sehr erhellend. Zusammengefasst geht es darum, was die fortschreitende Automatisierung mit uns macht. Das Beispiel des Autors ist Espresso, welcher in Restaurants zunehmend nur noch mit Maschinen hergestellt wird. Er stellt fest, dass dieser maschinenerzeugte Espresso in aller Regel besser ist als Handgemachter. Nur wirkliche echte Meister können die Maschine übertreffen, aber die sind selten (und werden noch seltener DURCH die Maschinen).
Es gibt aber noch eine weitere Komponente bei unserem Konsum. Wir schauen nicht nur, ob ein Produkt gut ist. Wir wissen auch um seinen Herstellungsprozess. Der Kontext ist entscheidend. Es ist einfach etwas anderes, wenn man WEISS, dass sich da ein echter Mensch manuell richtig Arbeit gemacht hat mit all seinem Können, seinen Erfahrungen und seiner Liebe zum Beruf. Selbst wenn das Resultat streng nach objektiven Messwerten betrachtet schlechter als die maschinelle Konkurrenz ist. Deshalb kommen Bioprodukte gut an. Oder Fairtrade Kaffee. Weil wir wissen, dass sich hinter diesen Produkten keine gesichtslosen Konzernmonster mit vollautomatischen Fabriken verbergen.
Ein weiteres Problem, das ich dabei sehe, das der Autor nur kurz anschneidet, ist der Verlust von Wissen. Eines Tages wird es niemanden mehr geben, der weiss, wie man eine bestimmte Sache von Hand herstellt. Es wird sicher dokumentiert sein, bei Wikipedia oder sonstwo. Aber das wird niemandem helfen. Wenn ich mir überlege, wie das abläuft wenn mir mein Schwiegervater irgendwelche handwerklichen Arbeiten beibringt: ich weiss im Grunde wie man eine Türzarge einsetzt, rein theoretisch. Aber da gibt es tausend Kniffe, die man beachten muss und mit denen man sich behelfen kann. Die stehen nirgends. Wenn er geht, geht dieses Wissen mit ihm. Ich habe nur einen klitzekleinen Bruchteil davon abgreifen können.
Und so wird das mit immer mehr Spezialwissen passieren. Sobald es jemandem gelungen ist, einen manuellen Herstellungsprozess mathematisch auszudrücken und maschinell zu implementieren, werden die Leute aufhören sich darum zu kümmern. Auch in meiner Branche, der IT, ist das nicht anders. Mein Spezialgebiet Internetbackbone/BGP wird zunehmend dünner. Immer weniger Provider teilen sich den Markt und immer mehr Aufgaben kann man automatisieren, weshalb immer weniger Leute notwendig sind, die sich um das Thema kümmern müssen. Tatsächlich bin ich bei mir im Unternehmen der Einzige, der das tut. Es gib einen Kollegen, der Backup macht, aber der kümmert sich seit Jahren primär um andere Dinge. Und wir haben keine Lehrlinge, denen ich das beibringen könnte. Und selbst wenn wir welche hätten: wozu sollte ich? Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fachinformatiklehrling später mal einen Job bei einem ISP bekommt, wo er sich mit BGP befassen muss? Sicher im Promillebereich. Und meinen Nachwuchs interessiert es auch nicht.
Und auf diese Weise wird unsere Zivilisation immer abhängiger von sich selbst. Alles steht und fällt mit der Verfügbarkeit unserer Maschinen. Nähme man uns die weg, würden wir umgehend in der Steinzeit landen. Und dieses Risiko wird in Zukunft keineswegs kleiner werden. Schon jetzt werden viele Maschinen, die Konsumentenprodukte herstellen, von Maschinen gebaut. Das wird so weitergehen. Maschinen bauen Maschinen, die Maschinen bauen, die Maschinen bauen, die Dosenöffner herstellen. Und überhaupt kein einziger Mensch wird auch nur den Hauch eines Schimmers mehr haben, wie das alles insgesamt funktioniert. Und niemand wird mehr in der Lage sein, dieses Gesamtsystem neu aufzubauen, sollte sich das als notwendig erweisen. Sozusagen ein Henne-Ei-Problem, bei dem das Ei abhanden gekommen ist.
Tja. Ich schliesse mit einem Zitat aus einem Kommentar zum oben verlinkten Artikel, den ich hervorragend pointiert fand:
When the table is surrounded by friends and full of good food and dappled by the sun reaching through the wisteria, a two pound bottle of red plonk becomes the very nectar of the gods.